Schiffskatastrophe überlebt

Eine Kreuzfahrt im Mittelmeer - lange hatten sich Christina und Erich Dittmeier auf die einwöchige Schiffsreise gefreut. Doch die Fahrt auf der Costa Concordia endete in einer Katastrophe. Der Vorsteher der Gemeinde Duingen und seine Frau erlebten die dramatischsten Stunden ihres Lebens.

Freitag, 13. Januar 2012: Der letzte Tag einer bis dahin wunderschönen Reise im Mittelmeer. Das Ehepaar aus Eschershausen hat viel erlebt. „Ein tolles Schiff. Jeden Tag gab es Landausflüge“, erzählt Evangelist Erich Dittmeier. Marseille, Palma de Mallorca und an diesem Freitag Rom waren einige der Stationen.

Nach dem Abendessen begaben sich Erich und Christina Dittmeier wieder in ihre Kabine. Während Erich Dittmeier schon mal die Koffer packte, machte sich Ehefrau Christina unter der Dusche frisch. Die beiden wollten sich noch mit anderen Passagieren, mit denen sie sich während der Schiffsreise angefreundet hatten, an der Bar zu einem Abschiedstrunk treffen.

Es war etwa 21:45 Uhr. „Plötzlich gab es einen lauten Rumpler“, berichtet Erich Dittmeier, „ich hab das erst gar nicht so ernst genommen.“ Doch dann machte sich auf einmal der Koffer selbstständig, rutschte vom Bett in Richtung Fenster. Als der 62-Jährige aus dem Kabinenfenster schaute, sah er nur die Wasseroberfläche unter sich. Das Schiff hatte schwere Schlagseite. „Doch dann richtete sich das Schiff wieder auf. Ich war beruhigt und packte weiter“. Plötzlich fiel der Strom aus. Als Erich Dittmeier die Kabinentür öffnete, sah er Passagiere mit Rettungswesten über den Gang laufen. „Kurz danach ging das Licht wieder an und über Lautsprecher kam die Durchsage, dass es sich lediglich um einen technischen Defekt handele, ansonsten alles in Ordnung sei und kein Grund zur Panik bestehe“, erinnert sich der Eschershäuser.

Doch Christina Dittmeier traute den beruhigenden Worten nicht, ahnte, dass es sich hier nicht um einen harmlosen Störfall handelte, sondern etwas Schlimmeres passiert sein musste. Sie bestand darauf, die Rettungswesten anzulegen und die Kabine zu verlassen. Beide gingen dann zusammen mit anderen Passagieren in den ihnen zugewiesenen Evakuierungsraum auf Deck 4, wie sie es einige Tage zuvor bei einer Notfallübung gelernt hatten. „Auf einmal bemerkte ich, dass ich meine Tasche mit Geld und Papieren in der Kabine vergessen hatte“, erzählt Erich Dittmeier, „ich wollte sie holen, doch Christina ließ mich nicht mehr gehen.“ Zum Glück. Denn auf einmal neigte sich das Schiff zur Seite. „Und dann brach Panik aus. Die Passagiere, die in den Evakuierungsräumen auf der gegenüberliegenden Seite waren, rannten voller Angst zu uns herüber“, berichtet der Evangelist. Es kam zu tumultartigen Szenen. Erich Dittmeier verlor in dem Gedränge seine Frau aus den Augen.

Jetzt erst wurde Sirenenalarm ausgelöst. Siebenmal kurz, einmal lang: Evakuierung! Die Passagiere wurden von Bediensteten auf die Rettungsboote gebracht. Auch Erich Dittmeier bestieg ein Boot. Doch das hatte sich durch die Schrägstellung des Schiffes derart an der Bordwand verkantet, dass es nicht zu Wasser gelassen werden konnte. „Wir mussten alle wieder raus“, schildert er die dramatischen Szenen. „Ich hab mich dann wieder auf die Suche nach Christina gemacht.“ Ein Stockwerk höher entdeckte er sie. „Sie stand mit anderen Passagieren vor einem Rettungsboot. Ich rief ihr zu: Sieh zu, dass du da reinkommst.“ Erich Dittmeier konnte noch beobachten, wie seine Frau ins Boot stieg und es schließlich ablegte. Erleichterung. Seine Frau war in Sicherheit!

Inzwischen hatte das Schiff eine derart extreme Schräglage, dass man nicht mehr aufrecht laufen konnte. Erich Dittmeier hangelte sich bis zum Heck. Unterwegs hörte er das Rufen und Klopfen von Menschen, die offenbar im Inneren des Schiffes eingeschlossen waren. „Ich machte Mitarbeiter der Crew darauf aufmerksam, die sofort mit Handlampen die Gänge absuchten. Ob die Menschen gerettet werden konnten, weiß ich nicht“, erzählt Erich Dittmeier. Am Heck angekommen kletterte er über die Reling auf die Außenbordwand, wo er Halt fand. Einige Passagiere schafften es nicht aus eigener Kraft hochzuklettern. Der kräftige 62-Jährige packte zu und zog mehrere Menschen mit hoch. Darunter auch eine Frau aus Emden, die verletzt war. „Sie blutete am Kopf. Später stellte sich heraus, dass sie auch einen Beckenbruch erlitten hatte“, berichtet Erich Dittmeier. Er beruhigte die völlig verängstigte Frau und nahm sie von nun an unter seine Obhut. „Ohne Sie hätte ich das alles wohl nicht überstanden“, schrieb sie ihm später in einer Dankes-E-Mail.

Mittlerweile warteten hunderte von Passagieren und Crew-Mitgliedern auf der Bordwand auf ihre Evakuierung. Während immer wieder Rettungsboote anlegten und Schiffbrüchige abholten, schrieb Erich Dittmeier eine SMS an den Bezirksältesten und schilderte ihm seine Lage. Über fünf Stunden lang musste er an der Bordwand ausharren. „Kinder und Verletzte hatten natürlich Vorrang“. Gegen 5 Uhr morgens konnte er endlich als einer der letzten über eine Strickleiter in ein Rettungsboot steigen. „Das Boot brachte uns zu einem Ausflugsschiff. Dort bekamen wir etwas zu trinken - sogar einen Grappa zum Aufwärmen - und wurden schließlich ans Festland gebracht“, erzählt der Evangelist. In Rot-Kreuz-Zelten wurden die Geretteten versorgt und dann in eine Schule, die als Notunterkunft diente, gebracht. Danach ging es mit Sonderbussen in die Hafenstadt Savona.

Während ihr Mann bereits auf dem Festland war, wartete Christina Dittmeier auf der Insel Giglio. Hier diente eine Kirche als Notunterkunft. Immer wieder ging sie barfuß zum Hafen - ihre Schuhe hatte sie in dem Getümmel verloren - und schaute, ob die ankommenden Boote mit Schiffbrüchigen auch ihren Mann mitbringen. Doch jedes Mal Fehlanzeige. „Ich hatte zwar immer das Gefühl, dass Erich es geschafft hat. Aber ich wusste es halt nicht. Diese Ungewissheit war schrecklich“, schildert Christina Dittmeier die bangen Stunden der Unsicherheit.

Schließlich wurde auch Christina Dittmeier aufs Festland gebracht. Erst um vier Uhr am Nachmittag konnte sich das Ehepaar endlich wieder in die Arme schließen. „Da flossen natürlich Tränen“, erinnert sich Erich Dittmeier bewegt. Ein Bus brachte sie anschließend in Richtung Heimat. Dankbar und erschöpft nach 36 Stunden ohne Schlaf erreichte das Ehepaar am Sonntagmittag das heimatliche Eschershausen. Ohne Gepäck: Kleidung, Fotoapparat, Notebook, Geldbörse - alles blieb auf dem Schiff zurück.

„Wenn du nachts im Bett liegst, dann kommen die Bilder immer wieder. Die wirst du so schnell nicht los. Und man malt sich aus, was alles hätte passieren können“, sagt Erich Dittmeier nachdenklich. Auch das Rufen und Klopfen der im Schiff eingeschlossenen Passagiere kriegt Evangelist Dittmeier nicht mehr aus dem Kopf. Die Ungewissheit, was aus diesen Menschen geworden ist, bedrückt ihn.

Heute wundert sich Erich Dittmeier, wie ruhig er in den dramatischsten Stunden seines Lebens geblieben war. „So richtig Angst hatte ich eigentlich in keiner Phase. Ich wusste und fühlte: Ich bin in Gottes Hand geborgen. Irgendwie geht’s weiter. Wie auch immer." Und er ist sich sicher: "Mein Glaube hat mir in dieser Zeit enorm geholfen. Eine solche Sicherheit bekommt man nur durch den Glauben“.

M.B./Fotos: E.D./M.B.